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Essay von Cecilia Dreymueller

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Spracharchipel II: Sprachenlust und Sprachenkampf in Spanien

Spanien ist ein Land, das – auch 45 Jahre nach Ende der stramm zentralistischen Franco-Diktatur – aus seiner historisch gegebenen Vielsprachigkeit herzlich wenig macht. Anders als Belgien oder die Schweiz, wirbt der in vieler Hinsicht sehr fortschrittliche spanische Staat nicht gerade mit der literarisch ungeheuer produktiven Sprachenvielfalt seines Territoriums. Weder nach innen noch nach außen wird sie befördert und im Übrigen so wenig wie möglich thematisiert. Niemand will das heiße Eisen anpacken. Denn das ist es zweifellos. Die Verhältnisse in jeder Region sind so unterschiedlich und emotional aufgeladen, dass es unmöglich scheint, eine einheitliche und zufriedenstellende Regelung für alle zu finden. 

Tatsächlich ist es so, dass in der Verfassung das Kastilische immer noch als alleinige offizielle Amtssprache für alle Bürger festgelegt ist. Doch der Alltag in sechs der siebzehn autonomen Regionen, darunter das bevölkerungsreiche Küstengebiet von Katalonien bis Valencia mit den Balearen, findet in den nur co-offiziellen Sprachen statt. Und genau dieser nebengeordnete Status wird von vielen Bewohnern als Unrecht empfunden. 

Am lautstärksten äußert sich der Unmut im prosperen Nordosten der spanischen Halbinsel. Seit 2012 haben im autonom regierten Katalonien die gemäßigt nationalistische Zentrumspartei und die auf die Unabhängigkeit von Spanien setzende republikanische Linkspartei dieses Unrechtsempfinden zu befeuern und für ihre politischen Zwecke zu instrumentalisieren gewusst. Dabei wurden und werden die Sprache und die Literatur als Kampfmittel in der politischen Auseinandersetzung missbraucht. 

Die fünf Dichterinnen, die sich im Rahmen des Poesiefestivals Berlin in Madrid treffen, um ihre Gedichte auf Kastilisch, Katalanisch, Galicisch, Baskisch und Asturisch (eine Variante der Galicischen) vorzutragen, werden daher auch über die klaffende Diskrepanz zwischen Sprachenpolitik und Sprachrealität in Spanien debattieren und von ihren unterschiedlichen Erfahrungen berichten. 

Ein kritisches Bewusstsein der Sprachensituation gibt es, darin sind sich die Dichterinnen einig, seit langem. „Aber“, meint die galicisch schreibende Dichterin Chus Pato: „… eine Sache ist das Bewusstsein und eine andere ist es, diese Tatsache zu akzeptieren und ihr zu entsprechen. Ab den DichterInnen meiner Generation (1955) stellen diejenigen, die kastilisches Spanisch als Literatursprache wählen, die Ausnahme dar, was, glaube ich, auch der Tenor in den anderen ‚zweisprachigen’ Regionen war. Die überwiegende Mehrheit der auf Kastilisch schreibenden DichterInnen meiner Generation hatte die Vorstellung, ‚spanische Dichtung’ schreibt man auf Kastilisch. Diese Tendenz war auch die der Verlage und Anthologen. Die Jüngeren bemühen sich, diese Vorstellung zu ändern. Doch im Allgemeinen ist es auch heute noch so, dass man mit ‚spanischer Dichtung’ die auf Kastilisch geschriebene verbindet. Zweifellos ist das eine Haltung, die andere ausgrenzt, und es wäre wünschenswert, dass es anders wäre.“ 

Bei allen DichterInnen jedenfalls bezeichnet der Entschluss, in einer der nur co-offiziellen Landessprachen zu schreiben, jeweils eine bewusste Entscheidung für eine außerhalb der eigenen Region und erst recht außerhalb Spaniens kaum oder gar nicht wahrgenommene Literatur. Denn der Austausch der Literaturen auf Katalanisch, Galicisch oder Baskisch mit der auf Kastilisch geschriebenen ist gering.

Es gibt keine staatlichen Übersetzungs- oder Editionsprogramme, die sich systematisch um die Verbreitung der Regionalliteraturen in ganz Spanien kümmern. Das bedeutet auch, dass man die über 400 Millionen potenziellen Leser auf dem amerikanischen Kontinent niemals erreichen wird.  

Für fast alle Dichterinnen hat das Schreiben in einer nur co-offiziellen Sprache auch eine politische Dimension. Aber die Autorinnen, die nach der Franco-Diktatur geboren sind, sind in einer Situation der sprachlichen Wahlfreiheit aufgewachsen, und so stellt sich die Frage für sie nicht auf praktischer, sondern mehr auf grundsätzlicher Ebene. María Callís Cabrera: „Auf Katalanisch zu schreiben ist ein politischer Akt und ist es auch wieder nicht. Es ist einer, weil der spanische Staat die natürliche und gleichwertige Koexistenz der Sprachen, die in ihm gesprochen werden, nicht fördert. Es ist wiederum keiner, weil Katalanisch meine Muttersprache ist. Es ist die Sprache, in der ich mich in allen Bereichen meines Alltagslebens ausdrücke (ich schreibe auf Katalanisch, ich spreche Katalanisch und ich versuche immer im Katalanischen zu leben). Ich könnte in einer anderen Sprache gar nicht schreiben, ohne das als Verfremdung oder ein Spiel zu empfinden.“ 

Olvido García Valdés fasst das politische Potenzial dichterischen Schreibens weiter: „Ist Dichtung, egal in welcher Sprache, nicht immer ein politischer Akt? Nicht weil die Angelegenheiten, die sie behandelt, unbedingt politisch wären – oft sind sie es ja nicht – oder wegen der ideologischen Ausrichtung des Schreibenden, sondern wegen der Art von Beziehung, die sie mit der Sprache unterhält, die in nichts der Beziehung mit anderen Gattungen gleicht. Die Sprache der Dichtung ‚arbeitet gegen etwas an’, gegen die ‚Kultur’ jedenfalls, und wenn man es pointiert ausdrücken will, gegen die Sprache selbst, gegen das Vorhersehbare und Erwartbare, das die Sprache mit sich bringt. Es heißt, die Lyrik ist gleichzeitig Kritikerin des Lebens und der Sprache. Und diese Verwurzelung in der Kritik ist, meiner Ansicht nach, die eigentliche Wurzel des Politischen.“ 

Die sprachliche Vielfalt Spaniens und seine horizonterweiternde Wirkung ist den Dichterinnen ein erhaltenswertes Gut, das sie nicht missen wollen. Alle geben an, sich in wenigstens zwei weiteren als der eigenen Muttersprache unter den spanischen Sprachen mit Sicherheit zu bewegen. Die Wahrnehmung dieser anderen Literaturen Spaniens, die noch bis in die erste Hälfte des 20. Jahrhunderts selbstverständlich war unter Intellektuellen, fand bis vor kurzem, laut ihren Aussagen, jedoch in erster Linie auf privater Ebene statt. Immer mehr allerdings in der letzten Dekade auch über Kongresse oder Lesungen, innerhalb punktueller Kulturförderungsprojekte der autonomen Regionen untereinander. Es zeichnet sich also doch ein allgemeiner Bewusstseinswandel hin zur Vielsprachigkeit und eine allmähliche Annäherung der spanischen Sprachen zueinander ab.