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Interview mit Ernest Wichner

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Spracharchipel III: Minderheiten, Sprachen und Repräsentationen in Rumänien

Alexandru Bulucz: Welche Rolle spielt für euer Schreiben sprachliche und kulturelle Diversität? Könnt ihr konkret sagen, wie diese Diversität, wie „nichtrumänische“ Einflüsse in euer Schreiben eingehen? Spielt die Praxis der Übersetzung eine Rolle? Spielt das Lesen eine Rolle? Spielt die digitale und globalisierte Welt eine Rolle? Welche Rolle spielen dabei Zeitschriften wie „Poesis International“ und andere? 

Ernest Wichner: Selbstverständlich spielt die Tatsache, dass ich als Zweitsprache das Rumänische habe, aus dem ich eben auch literarische Texte übersetze, für mein eigenes Schreiben eine ganz erhebliche Rolle. Vor allem, weil ich immer wieder konstatieren kann, wie anders die andere Sprache denkt, dass also jenseits dessen, was meine eigene Phantasie mir in meiner einen Sprache ermöglicht, da noch eine zweite Sprache ist, die mit ihrem eigenen Denken – also noch weit vor mir und meinen Absichten – Dinge, Sachverhalte, Formeln, Bilder und vieles mehr bereithält, auf das ich mit allein einsprachigem Denken niemals gekommen wäre. So gesehen beneide ich alle, die mehrere Sprachen einigermaßen gründlich beherrschen oder sich von mehreren Sprachen gründlich beherrschen lassen. 

Nicht vergessen darf ich natürlich den gut dreihundert Jahre alten Odenwälder Dialekt, in den ich hineingeboren wurde, und der mithin meine erste Sprache war. Ich habe, wie ich leider feststellen muss, vieles von seiner spröden Schönheit mittlerweile vergessen und wohl für immer verloren, aber jede Erinnerung daran ist beglückend, und beim Schreiben von Gedichten kommt manchmal aus den Tiefen des längst vergessen Geglaubten das eine oder andere Wort hervor, das wahrscheinlich an einer Stimmungsnuance geklebt hatte, die ich mehr oder weniger absichtlich heraufgeholt habe … 

Alexandru Bulucz: Was versteht ihr unter politischem Schreiben? Kann ein solches Schreiben noch eine gesellschaftliche Durchschlagskraft haben? 

Ernest Wichner: In der erwachsenen Phase der sogenannten Aktionsgruppe Banat, also mit Anfang zwanzig habe ich, haben wir (noch in Rumänien) das Politische am literarischen Text als das formal Revolutionäre oder doch zumindest Verändernde, Innovative betrachtet und auch mit großer Überzeugung behauptet. Damals glaubten wir noch, es gebe ein zu emanzipierendes Subjekt der Geschichte, das auf Bildung, Literatur und Poesie angewiesen ist. 

Dies würde ich aus vielen Gründen heute so nicht mehr behaupten. Diese Gründe hier aufzuzählen und zu erläutern, führte zu einem mehrseitigen Essay. 

Mit in meine Gegenwart hat sich aus der damaligen Situation und dem daraus abgeleiteten Denken die Ansicht gerettet, schon die Tatsache, dass man an einem Gedicht arbeite und nicht etwa irgendetwas anderes tue, sei eine (zugegeben verhaltene) politische Geste. Dass darüber hinaus literarische Texte jeder Gattung das Politische innerhalb ihrer spezifischen Stimmführung artikulieren können und auch sollen, ist mir ein ebenso vertrauter Gedanke wie die Tatsache, dass dieses Politische in den Texten sich vielfach verpuppen kann – womit nicht Verbergen oder Sklavensprache gemeint ist. 

Gar nicht erst zu reden davon, dass politisch zu sein, noch keinem Text über die Klippe geholfen hat, die ein ästhetisch empfindliches Bewusstsein wie selbstverständlich davor aufzurichten versteht. Ich sympathisiere mit dem Citoyen als bürgerlichem Subjekt, in dem ein hemmungslos ungerechtes, egozentrisches, a- oder antipolitisches Temperament oder Wesen sich nach Lust und Laune (und wenn möglich höchst niveauvoll) austobt. Es sollte mir als politisches Statement einer Künstlerpersönlichkeit vollauf genügen.

Was nicht heißt, dass man sich nicht wenige Tage später bei einer Demo oder in einer Veranstaltung begegnet, die schlichteste und härteste politische Sachverhalte zu befördern trachtet. Schließlich kann ich wirklich kreativ nur sein, wenn ich (mit anderen) auch dafür sorgen kann, dass ich wegen meiner Tätigkeiten nicht irgendwann in einem Konzentrationslager oder Gulag lande.

Alexandru Bulucz: Welchen in Rumänien lebenden Autor, welche Autorin würdet ihr einer deutschen Leserschaft ans Herz legen? Wer sollte übersetzt werden? Und warum? 

© Mircea Struteanu

Ernest Wichner: Dan Coman sollte übersetzt werden, weil er klug und bildmächtig und spröde schreibt, Constantin Acosmei sollte übersetzt werden, weil er nur mitteilt, was als mitteilbar noch übrigbleibt, wenn man – wie Beckett oder Giacometti – alles von seinen Figuren abgestreift hat, was nicht dringend gesagt oder gezeigt werden muss. Und dann sollten noch mindestens zwanzig Dichterinnen und Dichter und fünfzehn Erzählerinnen und Erzähler und bestimmt auch noch zehn Verfasserinnen und Verfasser von Essays übersetzt werden, aber deren Namen will ja niemand wissen, also behalten wir sie für uns und empfehlen zwischendurch allen, die sich für diese Werke interessieren, den kürzesten Weg einzuschlagen, den Oskar Pastior zur Lösung des Übersetzungsproblems empfohlen hat: man lerne die Sprachen und lese und lese … Es wäre dies auch ein Weg aus der Falle des Identitären und sonstwie Verqueren …