Ricardo Domeneck: Schreiben wir anders, wenn wir als Personen mit queeren Körpern schreiben, die wir in unseren spezifischen Gesellschaften leben, die auf spezifische Weise mit Personen mit queeren Körpern umgehen? Lässt sich von einer Poetik queerer Körper sprechen? Wie gehen Sie mit dieser Frage um?
Judith Kiros: Jeder Versuch, eine spezifisch queere Ästhetik zu definieren – durch Kulturen und über sie hinaus, durch verschiedene Körper- und Seinsarten und darüber hinaus – wird, denke ich, letztlich einschränken, was diese Ästhetiken unter Umständen sein oder werden könnten. Gleichzeitig werden geteilte Erfahrungen und Räume sowie Gemeinschaftsbildung und Organisation zu (bewussten und unbewussten) Ähnlichkeiten führen. Eine Art Fragmentierung vielleicht, ein Spiel zwischen Hemmung und Befreiung. Eine Poetik dessen, was Sara Ahmed Eigenwilligkeit nennt. Etwas, das den Rachen mit dem Bauch verbindet.
Ricardo Domeneck: Ist die Vorstellung einer „queeren Tradition“ für Sie wichtig? Behandeln und lesen Sie queere Dichtung aus der heutigen Zeit anders als homoerotische Dichtung der Vergangenheit? Haben Sie einen Bezug zu AutorInnen wie Gertrude Stein und Oscar Wilde, um zwei berühmte Beispiele zu nennen, die aus einer Zeit stammen, als Sprache anders wirkte, als „queer“ etwas anderes bedeutete?
Judith Kiros: Ich denke weniger in Kategorien von (einer einzigen) Tradition, als vielmehr an im Kampf vernetzte Gemeinschaften. Darin findet sich mehr Raum für eine Art Vielfalt, ebenso wie für eine Politik der Identifikation ‚und’ Solidarität. Auf diese Weise kann man AutorInnen wie Stein und Wilde von einem Standpunkt sowohl der Ähnlichkeit als auch der Differenz begegnen – was meines Erachtens auch dazu tendiert, eine aufrichtige Neugier bezüglich des historischen Kontexts, des Textes und seiner Traditionen sowie seiner möglichen Zukunft (und der seiner LeserInnen) zu wecken. Und aus Gertrude würde ich die Scheiße Alice-B.-Toklas-sen.
Zum Projekt QUEER-BODIED VOICES.
Mit Judith Kiros