Kann man das Schreiben von Gedichten lernen? Den anspruchsvollen und individuellen Prozess, eine eigene poetische Stimme zu entwickeln, wird eine Ausbildung niemandem abnehmen können. Viele Fertigkeiten des Schreibens selbst jedoch lassen sich erlernen, vertiefen und weiterentwickeln. Ist das Schreiben, gerade von Lyrik, aber nicht eine einsame, zutiefst autonome Tätigkeit? Ja, doch man kann sich mit anderen vernetzen und austauschen, einander zuhören und sich mit der Lyrik auseinandersetzen, die bereits geschrieben wurde.
Seit 2006 existiert dafür am Haus für Poesie die Werkstatt der „open poems“ für 23-28 jährige DichterInnen, seit 2019 konnte eine zweite Werkstatt für 16-23 jährige DichterInnen eingerichtet werden und seit 2020 in Zusammenarbeit mit dem Verein „Schreibende SchülerInnen e.V.“ mit „Weiter im Text“ ein Format für 12-18 Jährige. Damit ist es endlich möglich, Kinder, Jugendliche und Junge Erwachsene durchgehend mit Angeboten der Poetischen Bildung zu begleiten.
Die Anthologie „in den ruinen des BER siedeln wir wölfe an“ stellt nun erstmals elf junge DichterInnen vor, die an der diesjährigen Werkstatt „Young Poems“ im Haus für Poesie teilgenommen haben. Die Werkstatt umfasste fünf Sitzungen, die zwischen Januar und Mai 2020 stattgefunden haben. Die TeilnehmerInnen wurden aus einer größeren Anzahl an BewerberInnen ausgewählt – anhand ihrer vielversprechenden Einreichungen oder aufgrund ihrer erfolgreichen Teilnahme am Gedichtwettbewerb des British Council. Alle hatten zuvor schon Gedichte geschrieben, einige, wie Josefine Baetz, Isabelle Decher, Anna Hattler und Kierán Meinhardt, für ihre Lyrik sogar schon Preise gewonnen. Andere, wie Edna Grewers und Carmine Jako, sind auf Lesebühnen oder im Internet aktiv.
Die Texte, die diese Anthologie versammelt, sind großenteils auf Anregungen und Aufgabenstellungen der „Young Poems“-Werkstatt hin entstanden. Neben dem gegenseitigen Kennenlernen ging es in der Werkstatt vor allem darum, eigene Texte innerhalb der Gruppe zur Disposition zu stellen, Feedback zu erhalten und, umgekehrt, sich mit den Texten der anderen TeilnehmerInnen auseinanderzusetzen. Um das eigene Schreiben formal und thematisch zu vertiefen und zu erweitern, wurden zudem bestimmte Fragen poetischen Arbeitens genauer in den Blick genommen und dazu entsprechende Schreibübungen und Aufgaben bearbeitet. In diesem Halbjahr ging es vor allem um Autor-Ich und Perspektivierung, um poetische Bildfindung, um die Recherche und um poetische Bezugnahmen auf andere Texte. Die TeilnehmerInnen hatten in der Werkstattzeit und zwischen den Treffen außerdem Gelegenheit, sich mit beispielhaften Gedichten etablierter AutorInnen zu beschäftigen: Zu jeder Sitzung wurde ein eigener Reader mit ausgewählten Gedichten ausgegeben.
Die Corona-Krise, welche unsere Treffen im Haus für Poesie unmöglich machte, verbannte die letzten Sitzungen der Werkstatt in die virtuelle Welt. Dass die Umstellung auf Online-Workshops im Konferenzraum von „Zoom“ die Produktivität der TeilnehmerInnen nicht einschränkte, sondern eher noch entfesselte, belegen die hier versammelten Texte. Ich freue mich, Ihnen Josefine Baetz vorzustellen, mit ihren verblüffenden, surreal-dystopischen, an Szenen des städtischen Alltags entlang streifenden Gedichten; Cheikh Anta Belle Kum, mit energiegeladenen, rhythmischen Spoken-Word-Texten; Isabelle Decher, die mit dem Englischen und dem Deutschen balanciert und ihre Aussagen wie auf kleinen Ketten aufreiht; Edna Grewers und ihre psychologisch aufgeladenen, teils mit Techniken der Confessional Poets arbeitenden Gedichte; Anna Hattler mit verspielten, provokanten und sprachfreudigen Aufforderungen zum Tanz; Carmine Jakos kurze Punches, die hörbar an englischer Lyrik geschult sind; Kristina Janackovas subtile, fein gearbeitete Poesie von oft auch politischer Tragweite (in ihrer zweiten Schreibsprache Deutsch); Kierán Meinhardts bildstarke Gedichte, in ihrer Formkunst und Komplexität; Friedrich Schulzes sprachliche Experimentierfreude und gleichzeitige Ernsthaftigkeit; Lisa Starogardzkis kühne, farbige Gedichte, die ihre teils strengen Formen von innen zu sprengen scheinen; Alice Veils eigenwillige, ahnungsvolle Verstörungen. Ihnen allen wünsche ich viele Leser und Leserinnen! Ich hoffe, dass die gemeinsame Arbeit ihr Schreiben beflügelt hat.
Ich danke Karla Reimert Montasser für die vertrauensvolle und gute Zusammenarbeit, Ihr und dem Haus für Poesie dafür, mit den „Young Poems“ Möglichkeiten für jüngste DichterInnen zu schaffen, sich weiter zu entwickeln. Und Anja Silovšek für die Mitarbeit an der Publikation, die es ihnen ermöglicht, sich einem größeren Publikum vorzustellen.
Birgit Kreipe, Werkstattleiterin Young Poems
Auf den Magazin-Seiten der Poetischen Bildung findet ihr Gedichte von Josefine Baetz, Cheikh Anta Belle Kum, Isabelle Decher, Edna Grewers, Anna Hattler, Carmine Jako, Kristina Janackova, Kierán Meinhardt, Friedrich Schulze, Lisa Starogardzki und Alice Veil.
der sommer kommt und im ewigen spannungsfeld von sprache und körper wird es heiss, denn die Meisterklasse auf dem poesiefestival berlin untersucht dieses mal aktualität und historische kontinuität queerer lebensstile in der poesie.
es ist ein offenes geheimnis, die lyrik ist ganz gerne mal gay. bereits in der persischen ghaselendichtung war die homoerotische liebe fast das einzige amouröse thema. von shakespeare bis stein, von rumi bis dickinson haben grosse dichter*innen viele ihrer schönsten gedichte dem eigenen geschlecht gewidmet.
Im workshop erkunden wir gemeinsam scheu und selbstbewusstsein im poetischen ausdruck von bromance, friends-forever-fantasien und dem anschmachten des eigenen geschlechts. wir werden in der sprache körperlich, versuchen auszusprechen, was wir niederschreiben. um sexualität geht es nicht in erster linie, sondern um ein gespür für die schönheit der geschlechtlichen selbstliebe: voguing auf dem laufsteg des ich!
der dichter und kulturpädagoge Crauss führt in einem methodenmix aus aneignung, versuch und wiedergabe in den workshop ein und bietet in gemeinsamen schreibexperimenten impulse, die im schönsten fall über das seminar hinaus die formuliergabe schärfen und eine poetische sprachpraxis im queeren und nicht queeren poetischen alltag ermöglichen. Der workshop baut auf den gleichnamigen SelbstVERSuchen im mai 2020 auf, kann aber auch ohne vorkenntnisse besucht werden. die veranstaltung findet als Zoom- Webinar statt, bei der Anmeldung erhalten die Teilnehmenden den Link zu einem E-Learning. Es ist auch möglich, nur das E-Learning zu bearbeiten.