„Sprachen vermehren sich mit Staaten, nicht umgekehrt.“ – Eric John Ernest Hobsbawm
„Je mehr Sprachen man spricht, desto reicher ist man“, hieß es in meiner Kindheit. An meiner Grundschule, so wie an allen anderen Grundschulen Jugoslawiens, lernte man zwei Fremdsprachen: die erste, Englisch, wurde an allen unterrichtet, die zweite unterschied sich von Schule zu Schule. Neben dieser einen gemeinsamen Fremd- hatten wir auch eine gemeinsame Muttersprache, Serbokroatisch oder Kroatoserbisch, die in den Teilrepubliken Bosnien und Herzegowina, Kroatien, Montenegro und Serbien gesprochen wurde.
Der Name dieser Sprache ist für viele in Jugoslawien Geborene unzertrennlich mit dem Land selbst verbunden. In den vier von sechs Teilrepubliken konnten Kinder Zeichentrickfilme und Kinderserien ohne Untertitel sehen, Schullektüre in verschiedenen Varianten ein- und derselben Sprache lesen. Auch die einheimische Popmusik wurde in dieser einen „einheimischen“ Sprache und ihren Varianten gesungen.
Wo ist diese Sprache jetzt, da es Jugoslawien nicht mehr gibt?
Bezeichnenderweise ist es Jacob Grimm, der als erster das Wort „Serbokroatisch“ verwendet: So nennt er nämlich die Sprache, aus der er 1824 „Die kleine serbische Grammatik“ des Philologen und Sprachreformers Vuk Stefanović Karadžić übersetzt. Einige Jahre später, 1836, benutzt der slowenische Philologe und Slawist Jernej Kopitar dieselbe Bezeichnung in einem Brief. Seit Mitte des 19. Jahrhunderts ist Serbokroatisch bzw. Kroatoserbisch die gemeinsame Standardsprache der Bosnier, Kroaten, Montenegriner und Serben. 1907 führt Bosnien als erster Balkanstaat das „Serbokroatische“ als Amtssprache in Schulen und öffentlichen Einrichtungen ein.
Zum Projekt Spracharchipel I: EX-YU – Unsere Sprache(n)