Sladjana Strunk: Was ist für Sie die einheimische Literatur und wodurch fühlen Sie sich an sie gebunden?
Ivana Bodrožić: Für mich ist die einheimische Literatur zunächst jene, die in der Atmosphäre, im Gefühl der Zugehörigkeit zu einem bestimmten Raum, zu bestimmten Menschen und Ideen einen hohen Wiedererkennungswert mit sich bringt, ohne dabei in ihrer Schreib- oder Erzählweise die Welt und die Gegenwart außen vor zu lassen. Mit dieser Literatur verbinden mich die frühsten Erinnerungen an die Stadtbücherei, in der ich als stolzes neues Mitglied all die Autoren entdeckt habe, die in einer für mich verständlichen Sprache schrieben, von Branko Ćopić und seinem „Igelhäuschen“ zu Hrvoje Hitrec und seinen „Smogstädtern“. Dieser Raum schrumpfte in den Neunzigern schnell und aufs Schmerzlichste, und erst nach 2000 begannen wir wieder, durch Literatur Verbindungen zu knüpfen. Mir bedeutete das sehr viel, denn ich konnte mich wieder in den Erzählungen von Faruk Šehić finden, in den Gedichten von Dragana Mladenović, in Saša Ilićs Prosa, in den Werken von Olja Savičević, Ognjen Spahić und vielen anderen. Kurz gesagt, die einheimische Literatur ist für mich jene, die mir das Gefühl gibt, zu Hause zu sein.
Sladjana Strunk: Für welchen Sprach- und Kulturraum schreiben Sie? Welches Publikum sprechen Sie an?
Ivana Bodrožić: Für mich ist dieser Raum nicht eingegrenzt. Beim Schreiben versuche ich immer, mit jenem Universell-Menschlichen in Berührung zu bleiben, das durch Übersetzungen auch mühelos den Weg zu seinen Leserinnen und Lesern findet. Wahrscheinlich wird das einheimische Publikum einen lebendigeren Bezug zu den Texten haben, die sich mit der neueren Vergangenheit und der Kriegszeit befassen, aber auch das muss nicht unbedingt der Fall sein. So ist etwa „Das Loch“ („Rupa“), mein vorletzter Roman, der eine hiesige Nachkriegsgeschichte oder ein Nachkriegstrauma zum Thema hat, im April in den USA erschienen. Das Publikum ist also überall, weil die menschliche Erfahrung universell ist.
Zum Projekt Spracharchipel I: EX-YU – Unsere Sprache(n)
Mit Ivana Bodrožić