Mediathek

Interview mit Kralj Čačka

,

Spracharchipel I: EX-YU – Unsere Sprache(n)

Sladjana Strunk: Was ist für Sie die einheimische Literatur und wodurch fühlen Sie sich an sie gebunden?

Kralj Čačka: Für mich umfasst die einheimische Literatur alle literarischen Werke eines bestimmten sprachlich-geografischen Raums. In diesem Fall ist es der Raum des Landes, in dem ich jetzt lebe, sowie der Raum des ehemaligen Jugoslawiens, denn in ihm wird nun mal eine Sprache gesprochen, mit all ihren Varianten, verschiedenen Einflüssen und Dialekten. Ich selbst neige nicht dazu, die Literatur durch diese Brille zu sehen: Ich suche in der Literatur vielmehr das Universelle und interessiere mich dafür, wie in ihr bestimmte Fragen behandelt werden. 

Sladjana Strunk: Für welchen Sprach- und Kulturraum schreiben Sie? Welches Publikum sprechen Sie an?

© Ariel Jonah

Kralj Čačka: Es fühlt sich an, als würde ich für eine imaginäre, verschollene Republik schreiben, die Ante Perković in seinem Buch „Die siebte Teilrepublik“ heraufbeschworen hat. Ihre Bewohner sind verstreut, über den Balkan und über die ganze Welt, daher sind die Grenzen dieser Republik schwer zu bestimmen. Musik ist universell, sie ist für die ganze Welt da – die Sprache ist es, die die Reichweite der Kommunikation einschränkt, doch wie ein kluger Mensch vor mir schon sagte, die Sprache ist an das Sein gebunden, und so klein sie auch sein mag, darf sie nicht ein Hindernis auf dem Weg zu universeller Entwicklung und universellem Ausdruck sein, im Gegenteil: Die Sprache spiegelt das Sein wider, die Arbeit an der Sprache ist zugleich auch die Arbeit am Sein.

Sladjana Strunk: Wie nah verwandt sind die Sprach- und Kulturräume postjugoslawischer Staaten? 

Kralj Čačka: Für mich ist das, wie bereits gesagt, ein- und dieselbe Sprache, mit all ihren fantastischen Unterschieden, und in der Kultur sind die Ähnlichkeiten auch groß bzw. die Variationen klein. Leider werden die Unterschiede aus politischen und anderen niederen Beweggründen als größer dargestellt, als sie es in Wahrheit sind. Die gelegentliche unbelastete Kommunikation verdankt sich überwiegend dem Engagement Einzelner. 

Sladjana Strunk: Gibt es einen Kulturaustausch in der Region und inwiefern nehmen Sie an ihm teil? 

Kralj Čačka: Durch Konzerte in verschiedenen Städten und durch Teilnahme an Festivals. Im Moment arbeite ich mit dem ‚Radio Teatar’ aus Zagreb an einem Hörspiel zusammen. Vor dem Ausbruch der Pandemie bin ich immer öfter in der ganzen Region aufgetreten, aber das hat sich jetzt natürlich geändert. Einer meiner ersten Online-Auftritte während der Pandemie wurde im Zagreber Club „Močvara“ (Der Sumpf) und später auch bei einem Festival in Slowenien übertragen.

Sladjana Strunk: Wie sehen Sie die Zukunft der Literatur- und Kulturszene auf diesem Sprachgebiet und welche Hoffnungen hegen Sie?

Kralj Čačka: Da wäre ich weniger optimistisch. Die wahre Kultur in dieser Region ist eigentlich zur Subkultur geworden, und oft genug habe ich das Gefühl, sie sei dem Untergang geweiht, vor allem wegen der Aggressivität und des ethischen wie ästhetischen Absturzes der vorherrschenden Kultur, die allen niederen Trieben nachgibt. So gesehen ist alles, was wahre Kultur ist, schon seit längerem in Geiselhaft. Die vorherrschende Nicht-Kultur führt ihren ‚danse macabre’ weiter, während die wahre Kultur ihrerseits zu überleben und Beziehungen über Grenzen hinweg zu knüpfen versucht, die Unterschiede einsehend, respektierend, verstehend. Es gibt selbst in einem solchen Kulturambiente durchaus ehrenwerte Bestrebungen Einzelner, Brücken zu bauen. Aus der Ferne betrachtet, sind sie wie Sterne an einem dunklen Himmel, umgeben von großer Leere. Aus der Nähe nimmt man sie vor lauter Nebel, Rauch und Smog kaum wahr. 

Aus dem Serbischen übersetzt von Aleksandra Bajazetov.