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Interview mit Senka Marić

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Spracharchipel I: EX-YU – Unsere Sprache(n)

Sladjana Strunk: Was ist für Sie die einheimische Literatur und wodurch fühlen Sie sich an sie gebunden?

Senka Marić: Unter einheimischer Literatur verstehe ich alles, was zur Literatur dieser Region gehört – also vor allem die aus Bosnien und Herzegowina, Serbien, Kroatien und Montenegro aber gewissermaßen auch die aus Slowenien und Mazedonien, wenn auch in einem kleineren Maß, denn da gibt es schon eine Sprachbarriere. Slowenische und mazedonische Literatur wird auch weniger übersetzt, also ist es schwieriger zu verfolgen, was dort veröffentlicht wird. An diese einheimische Literatur fühle ich mich durch Sprache, Kultur und Tradition gebunden. 

Sladjana Strunk: Für welchen Sprach- und Kulturraum schreiben Sie? Welches Publikum sprechen Sie an? 

Senka Marić (c) Magdalena Blažević

Senka Marić: Das wäre auch wieder der Raum der genannten Staaten. Für mich ist das ‚ein’ Kulturraum: Auch wenn in ihm unterschiedliche Poetiken anzutreffen sind, zehren wir alle von derselben Tradition. Insofern ist der Kulturraum dieser Region nicht aufzuteilen, davon bin ich fest überzeugt. Meine Bücher, und somit meine Leser auch, sind in allen Ländern der Region zu finden. 

Sladjana Strunk: Wie nah verwandt sind die Sprach- und Kulturräume postjugoslawischer Staaten? 

Senka Marić: Wenn man vom Kulturraum von Bosnien und Herzegowina, Serbien, Kroatien und Montenegro spricht, so glaube ich, dass wir alle dieselbe Sprache sprechen. Sprache ist ein Verständigungsmittel, und wir verstehen uns ja. Die Logik spricht dafür, diese Sprache als eine zu verstehen. Geteilt wird sie auf politischer Ebene, da, wo es gilt, ihr einen Namen zu geben. Außerdem glaube ich auch, dass wir zum selben Kulturkreis gehören.

Sladjana Strunk: Gibt es einen Kulturaustausch in der Region und inwiefern nehmen Sie an ihm teil?

Senka Marić: Die meisten, die sich ernsthaft mit Literatur beschäftigen, sind sich, denke ich, darüber im Klaren, dass wir zu ‚einer’ Literatur gehören, die ihre nationalen Verzweigungen hat. Ich selbst bin Schriftstellerin, seit Jahren aber auch Redakteurin des Literaturportals strane.ba, wo wir tagtäglich literarische Werke aus der ganzen Region veröffentlichen. Seit seiner Gründung wird das Portal von dem Gedanken geleitet, einen Internetraum zu schaffen, in dem literarische Texte aus der ganzen Region gleichermaßen vertreten wären und miteinander in einen Dialog treten könnten, der von ihrer Zugehörigkeit zu ein- und demselben Kulturraum zeugte. Durch dieses Bestehen auf dem Begriff der Regionalliteratur ist es uns, finde ich, gelungen aufzuzeigen, dass alles, was wir in der Literatur der Länder, aus denen wir stammen, für relevant und gut halten, einen gemeinsamen Nenner hat. 

Sladjana Strunk: Wie sehen Sie die Zukunft der Literatur- und Kulturszene auf diesem Sprachgebiet und welche Hoffnungen hegen Sie?

Senka Marić: Vom Standpunkt europäischer und anderer großer Literaturen stellt jeder einzelne unserer Staaten einen kleinen Kulturraum dar, eine kleine Sprache, eine kleine Literatur. Doch auch von dieser größeren literarischen Bühne aus werden die Literaturen postjugoslawischer Länder längst zusammen betrachtet, als ‚eine’ Literatur. Ich glaube, dass auch dies zu einer verstärkten Vernetzung einzelner Literaturen dieser Region beitragen und zur Einsicht führen wird, wie wichtig der Austausch und die Bündelung der Kräfte sind. Da es sich hier nach meiner festen Überzeugung um ein und denselben Kulturraum handelt, gewinnt durch das Hervorheben der Gemeinsamkeiten auch die Literatur an Bedeutung: Sie zeugt von der poetologischen Vielfalt ‚eines’ größeren Kulturraums, ‚einer’ größeren Sprache und ‚einer’ größeren Literatur. Dieser Trend wird sich, dessen bin ich mir sicher, auch weiterhin fortsetzen. 

Aus dem Bosnischen übersetzt von Aleksandra Bajazetov.