Ich glaube, dass es, wenn wir von Queer-Poetiken reden, nicht nur um jeweils entsprechende Themen und Fragen geht, sondern ebenso darum, Literatur auf eine andere Weise zu begreifen. Wenn man sich an die Ränder der Gesellschaft begibt, reicht es nicht, sich schlicht mit anderen Themen zu befassen, es steht auch an, sich für dissidente Formen zu interessieren oder diese auszuprobieren, selbst dort, wo man es mit Traditionen zu tun bekommt. Meiner Ansicht nach gehören Inhalt und Form in der queeren Poesie unweigerlich zusammen. Ich war schon immer der Meinung, dass man keine Revolution hinbekommt oder keinen Bruch vollziehen kann, solange man Gegebenes nachahmt oder klingt wie alle Welt. Auf die eine oder andere Weise muss queere Poesie sich nicht nur mit bestimmten Themengebieten befassen und die queere Community im weitesten Sinne in Augenschein nehmen, sie muss auch die Produktions- und Schaffensarten von Dichtung in Frage stellen.
Was die queere Tradition angeht, so würde ich sagen, dass in meinem eigenen Werk zwei wichtige Bezugsfiguren oder gar Schlüsselfiguren auftauchen. Zum einen ist da Gertrude Stein. Von ihr stammt mein Interesse für die Wiederholung, die Variation, ja letztlich das Anliegen, eine labyrinthische, schwer zu durchdringende Textstruktur zu schaffen. Von ihr habe ich außerdem die Vorstellung, im Abseits der übrigen literarischen Tradition zu stehen; diese Haltung von Stein, sich stets am Rand der literarischen Tradition zu bewegen, mit einer sehr klaren Haltung allein dazustehen. Die andere für mein Werk ebenso wichtige Bezugsfigur ist John Giorno. Von ihm habe ich all das übernommen, was mit Atmung zu tun hat, die Arbeit mit dem Rhythmus, am Text, und vor allem die Idee, Text und Atmung zu verbinden. Atmung ist für mich insgesamt ein sehr wichtiges Thema. Zudem würde ich sagen, dass John Giorno derjenige war, der mir beigebracht hat, dass Dichtung, queere Haltung und Aufruhr zusammengehören können und dass der Kampf um das poetische Experiment gemeinsam mit dem Kampf um Rechte ausgetragen werden kann.
In Barcelona habe ich es immer vorgezogen, mich in der anarchistischen Punkszene der Stadt zu bewegen, eine Szene, in der alle Welt willkommen ist, ganz unabhängig davon, wie du dich kleidest, dich verhältst oder welche auch immer deine Vorlieben sind. Ich glaube, in diesen dissidenten Räumen fühle ich mich einfach am wohlsten. Ich habe schon immer auf die eine oder andere Weise die kapitalistische Betrachtung der LGTBI-Bewegung abgelehnt. In Bezug auf die formalen Fragen der Literatur bin ich der Meinung, dass es, wenn man sich am Rand bewegt, keinen Sinn hat, sich auf das Mehrheitssystem einzulassen oder es gar nachzuahmen, sondern dass man vielmehr ein anderes zu schaffen, gegen den Strom zu schwimmen hat. Insofern haben in meinem Fall queere Poetik und Antikapitalismus einiges miteinander zu tun.
Zum Projekt QUEER-BODIED VOICES.
Mit Eduard Escoffet